Am vierten Tag der Pilgerreise durch das das Mostviertel starten wir morgens um acht Uhr frisch gesegnet von Kloster Lilienfeld. Auf dieser Etappe des Via Sacra erwartet uns Pilger eine ganz besondere Herausforderung, auf die ich mich schon von Anbeginn der Reise freue: die Falkenschlucht. Danach geht es hoch zur Ebenbauernalm und schließlich nach Annaberg, wo wir von unserer dritten und letzten Pilgerbegleiterin Maria Kvarda in Empfang genommen werden.Kloster Lilienfeld
Eine Nacht im Kloster zu verbringen ist schon etwas ganz Besonderes. Lilienfeld ist gleich das größte mittelalterliche Kloster Österreichs. Mein Zimmer ist wunderschön mit antiken Holzmöbeln ausgestattet. Vor dem Fenster ein edler Sekretär, zwei einzelne Holzbetten, ein Tisch mit vier Stühlen und eine kleine Couch. Das kleine, aber sehr moderne Bad ist durch eine Schiebetür vom Zimmer getrennt. Durch die hohen Decken fühle ich mich ein wenig klein und verloren in diesem Raum, irgendwie ehrfürchtig. Nach dem Frühstück werden wir durch das Kloster geführt. Beeindruckend, wie viele verschiedene Baustile sich in diesem Kloster finden lassen, nicht zuletzt deshalb, weil dessen Erbauung sich natürlich nicht von heute auf morgen verwirklichen ließ.
Den nachhaltigsten Eindruck hat bei mir ganz sicher die um 1730 geschaffene Bibliothek hinterlassen. Für mich als Bücherliebhaber der absolute Himmel. Etwas vergleichbar prachtvolles hab ich noch nicht gesehen, geschweige denn betreten dürfen. Mehr als 39.000 Neudrucke, 119 Wiegendrucke und 226 Handschriften sind hier zu finden. Wer die Möglichkeit hat, sich diesen wundervollen und prachtvollen Ort anzusehen, der sollte das auf keinen Fall versäumen. Überhaupt bietet das Kloster die Möglichkeit, buchstäblich in eine vollkommen andere Welt einzutauchen, abseits vom lebhaften Trubel des Alltags. Die hohen Decken und langen Gänge des Klosters lassen nicht nur die Alltagssorgen, sondern auch einen selbst ganz klein wirken und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich an diesem besonderen Ort alles ein klein wenig relativiert – so, wie man als Christ eben ganz klein wirkt, vor der Schöpfung Gottes. Als ich morgens ganz alleine durch den Kreuzgang gehe, habe ich sogar das Glück einer Orgelprobe lauschen zu dürfen. Die Töne von 3288 klingenden Pfeifen hallen durch die Gänge, was für ein erhebendes Gefühl. Ich werde automatisch langsamer und nehme die Musik wahr, die fast greifbar wirkt. Als ich am Brunnenhaus vorbei komme, begleitet das Plätschern des Wassers die Musik und durch die herrlich bunten Fenster fällt Licht in unterschiedlichsten Farben ein. Das ist schon wirklich etwas sehr Besonderes und nicht Alltägliches.
Um 11.00 Uhr geht unsere Reise weiter. Mit dem Taxi werden wir abgeholt und nach Türnitz gebracht. Hier stärken wir uns für unsere bevorstehende Wanderschaft im Hotel „Goldener Löwe“. Um mich mit ausreichend Kohlenhydraten zu versorgen, entscheide ich mich für die Käsespätzle, eine ausgezeichnete Wahl, wie sich herausstellt. Doch irgendwie sind wir an diesem Tag hinsichtlich des Weges, der noch vor uns liegt alle ein wenig angespannt und so lassen wir uns nach dem Essen von unserem Taxi noch weiter, bis zum Wanderparkplatz vor der Falkenschlucht bringen. Allen ist klar, dass es von hier aus kein zurückgibt. In der Schlucht selbst gibt es keinen Handyempfang und auch auf der nachfolgenden Strecke ist es nicht möglich, unterwegs „auszusteigen“. Einmal begonnen muss diese Etappe bis zum bitteren Ende durchgewandert werden. Nach den anstrengenden Tagen zuvor zweifelt da dann doch jeder so ein bisschen an der eigenen Courage. Doch gemeinsam machen wir uns auf den Weg und je länger wir gehen, um so sicherer und gelöster werden wir wieder.
Die Falkenschlucht selbst ist fantastisch. Schaut Euch die Bilder an, es ist wirklich sagenhaft. Irgendwie habe ich ja immer den Eindruck, dass man in solchen Gebieten „gegangen wird“. Man ist so fasziniert von den Landschaftseindrücken, dass alle Anstrengung vergessen ist und man wie ein kleines Kind durch ein großes Abenteuer läuft.
Manche Stiegen der Schlucht dürfen nur einzeln betreten werden, bei anderen Passagen ist es gar nicht anders möglich, als nacheinander und wirklich hoch konzentriert und auf den Weg achtend Schritt für Schritt weiter zu klettern. Es ist herrlich und die Zeit vergeht wie im Flug.
Dann erfolgt der Aufstieg zur Ebenbauernalm und wir wandern vorbei an schroffen Felsen, kämpfen uns über Waldpfade empor und genießen herrliche Aussichten auf die herrliche Landschaft Niederösterreichs. Was uns zwischendurch immer wieder gleichermaßen irritiert wie frustriert sind die unterschiedlichen Zeitangaben auf der Beschilderung. Zu wandern und im Laufe von Stunden dreimal an einem Schild vorbei zu kommen auf dem steht, dass die verbleibende Wegstrecke noch ca. 1,5 Stunden in Anspruch nimmt, ist bei ausreichender Müdigkeit nicht mehr unbedingt lustig. Doch wie so oft auf diesem Weg ergreift uns in solchen Momenten der „Galgenhumor“ und wir blödeln uns über die Frustration gemeinsam hinweg. Die Gruppe trägt sich auf diesem Weg mal wieder gegenseitig, was immer wieder eine tolle Erfahrung ist, hier auf diesem Weg.
So erreichen wir irgendwann die Passhöhe und wissen, dass nunmehr nur noch der „Abstieg“ nach Annaberg, das selbst ja auch auf mehr als 900 Metern liegt, vor uns liegt. Hier werden wir bereits von unserer Pilgerbegleiterin für die letzte Etappe erwartet. Gemeinsam mit uns besucht sie noch die Kirche von Annaberg, erzählt uns so einiges über den Ort, die Kirche und die heilige Anna, der wir an diesem Abend noch unsere Wünsche ins Ohr flüstern dürfen.
Dann lasen wir den Abend bei einem herrlichen Abendessen im Gasthof Meyer, unserem Quartier für die Nacht ausklingen und sind schon wieder etwas nervös vor der nächsten und letzten Etappe unserer Pilgerreise.
Maria – unsere Pilgerbegleiterin – entlässt uns in die Nacht, mit einem wunderschönen Text von Rainer Maria Rilke, zum Thema „Fragen an das Leben“:
Versuchen Sie, die Fragen selbst liebzuhaben, wie verschlossenen Stuben und wie Bücher, die in einer fremden Sprache geschrieben sind.
Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten.
Leben Sie jetzt einfach die Fragen.
Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Was für ein herrlicher Abschluss eines herrlichen Tages! Danke, liebe Maria!
Mögt Ihr weitere Berichte über meinen Pilgerweg lesen? Schaut einfach hier vorbei:
Pilgern durch das Mostviertel – von Klein-Mariazell nach Stift Lilienfeld
Pilgern im Mostviertel – von Hinterbrühl nach Klein-Mariazell
Pilgerbegleitung, Spiritualität und was genau ist eigentlich mein Thema, für diese Pilgerreise auf dem Via Sacra?
Pilgern im Mostviertel – ich bin dann mal weg …
Und dann gibt es natürlich auch noch Berichte bei:
Pingback: Pilgern auf dem Via Sacra – von Annaberg nach Mariazell | Entdecker(g)reise
Pingback: Jakobswege, Wege der Jakobspilger im Rheinland, Band 1 | Entdecker(g)reise